Geschichte

Die St. Anna-Kapelle zu Gattendorf

 

Lage der St. Anna-Kapelle:

 

Gattendorf im Bezirk Neusiedl am See liegt am Kreuzungspunkt der Straßen Wien-Budapest und Preßburg-Eisenstadt.

 

Etwa ein Kilometer südlich der Ortschaft liegt die St. Anna-Kapelle auf einer bewaldeten Anhöhe. Diese einschichtige, abgeschirmte Lage gewährt dem Ort weitgehende Ungestörtheit und Ruhe, sodass er zu besinnlichem Besuch und zur Meditation geradezu auffordert. Hierhin kann man sich, auch wenn die Kapelle nicht geöffnet ist, zur beschaulichen Rast zurückziehen, so wie es die Menschen schon vor Jahrhunderten taten. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade hier einst eine Klause stand, die von Eremiten bewohnt war. Ihre wesentliche Aufgabe war das Gebet für die Erbauer der Kapelle und ihre Angehörigen samt deren Untertanen.

St. Anna-Kapelle – der Zubau links ist die „Kroatische Kapelle“

Wie lange und in welcher Form diese Tradition nachweisbar ist, soll im Folgenden dargestellt werden. Dies ist natürlich nur im historischen Gesamtzusammenhang möglich, sodass ein Teil der Gattendorfer Ortsgeschichte mit dargestellt wird.

Gründung der St. Anna-Kapelle – geschichtlich betrachtet:

Über den Bau der Kapelle in ihrer heutigen Form gibt es leider keine schriftlichen Quellen.

 

Schlagen wir im bekanntesten Kunstführer des Burgenlandes, dem Dehio- Handbuch nach, so finden wir die Angabe: „Erbaut 1705, erneuert 4.Viertel 18. Jh.“ und dann weiter „ehemals im Giebel gräfliches Wappen Esterházy mit Bez. 1712“. Eine ähnliche Angabe finden wir in dem Werk ALT Bd. 1, Bez. Neusiedl, die sich offenbar auf eine ältere Ausgabe des Dehio-Handbuches stützt, dessen 1. Ausgabe bereits 1935 erschien. Leider gab es niemals eine Quellenangabe für die Zahl 1705 und so wurde diese Jahreszahl von vielen Autoren einfach übernommen. Dieses unkritische Abschreiben führt sogar so weit, dass in einigen Burgenlandführern, die zum Teil erst vor wenigen Jahren gedruckt wurden, immer noch von jenem Esterházywappen über dem Kapelleneingang berichtet wird, obwohl dieses in den Kampfhandlungen der letzten Kriegstage 1945 zerstört und bei der Renovierung des Kapellengebäudes 1953 nicht wieder hergestellt wurde.

 

Jedenfalls belegt die Jahreszahl 1712 über dem Eingang, dass der Haupttrakt der St. Anna-Kapelle in der jetzigen Form offenbar aus diesem Jahre stammt. Das muss aber nicht unbedingt für die südöstlich angebaute Seitenkapelle gelten, worauf noch einzugehen sein wird. Warum die Kapelle also 1705 erbaut sein soll, obwohl an der Fassade die Jahreszahl 1712 angebracht war, kann nicht leicht erklärt werden. Immerhin wäre es aber möglich, dass dem Verfasser der ersten Ausgabe des Dehio-Handbuches noch Dokumente des alten Gattendorfer Pfarrarchivs zur Verfügung standen, die leider in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts vernichtet wurden. Andererseits trieben sich 1705 wechselweise aufständische Kuruzzen und kaiserliche Truppen in unserer Gegend herum. In solchen Kriegszeiten hatte man gewiss andere Sorgen, als eine Kapelle zu erbauen. Das hätte man wohl erst nach abgewandter Gefahr getan, also eher 1712. Aber was war eigentlich vor 1712, gab es einen Vorläuferbau der St. Anna-Kapelle?

 

In den drei kanonischen Visitationsprotokollen der zweiten Hälfte des 17. Jh. wird die Kapelle mit keinem Wort erwähnt, ebenso aber auch nicht in der Visitation 1713, also zu einer Zeit, als sie mit Sicherheit bereits erbaut war oder sich noch im Bau befinden musste. Das ist aber kein Gegenbeweis ihres Bestandes, da die Kapelle nämlich niemals Kirchenbesitz war. Sie befand sich immer im Privatbesitz der Familie Esterházy und auch bis zum heutigen Tag gehört sie formal zum Gutsbesitz.  Den Visitator interessierten nur die Pfarrangelegenheiten und somit erklärt sich, warum die Kapelle durch ihn keine Erwähnung findet.

 

Immer wieder findet man in der ungarischen Literatur die Behauptung, bezeichnenderweise ohne Quellenangabe, der Ungarische Reichsverweser Johannes Hunyady habe 1455 eine Messe in der St. Anna-Kapelle mitgefeiert. Sein Widersacher Ulrich von Cilly hatte ihn zu einem Treffen in die Kittseer Burg eingeladen. Als Hunyady bemerkte, dass sich Ullrich von Cilly in der alten Kittseer Burg mit Bewaffneten eingefunden hatte, argwöhnte er eine Falle und brach das Treffen ab. Für den Besuch einer Kapelle bei Gattendorf kann aber kein Beweis erbracht werden und somit auch keiner für einen Vorgängerbau der St. Anna-Kapelle.

Die Schlacht an der Leitha:

Nun erinnert sich vielleicht mancher, in der Schule etwas vom „Kampf bei der St. Anna-Kapelle“ gehört zu haben. Dabei soll es sich um die 1. Leithaschlacht handeln, die in das Jahr 1146 fällt. Der Babenberger Herzog Heinrich Jasomirgott wurde von Ungarns König Gheza auf freiem Feld bei der Leitha vernichtend geschlagen. Zwischen 1146 und 1712 liegen immerhin 566 Jahre, die man nicht einfach unter den Tisch fallen lassen kann, wenn es denn so wäre. Bis heute gibt es keinen stichhaltigen Beweis, dass diese Schlacht tatsächlich bei Gattendorf geschlagen wurde. Diese Annahme kann weder durch Urkunden noch durch archäologische Funde begründet werden. Die einzigen je aufgefundenen kriegerischen Objekte im Bereich von Gattendorf aus dieser Zeit sind zwei Kriegsbolzeneisen, die auf der Ried Stockwiese nördlich der Leitha entdeckt wurden. Leider sind diese nur Einzelfunde und passen zeitlich nicht ganz genau zu diesem Ereignis. Sie dürften eher etwas jünger zu datieren sein und aus dem 13. Jh. stammen.

 

Ignatius Aurelius Fessler (1756-1839) war der erste Historiker, der diese Kampfhandlung in die Nähe Gattendorfs legte. In seinem Geschichtswerk „Geschichte der Ungarn“, Leipzig 1867, Bd. I, S. 251, wird erstmalig und ebenfalls ohne Angabe einer Quelle diese Behauptung von der Schlacht bei der St. Anna-Kapelle aufgestellt und dann von einem Historiker zum anderen übernommen. Oft ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Dabei kannte Fessler den vermeintlichen Schauplatz der Schlacht von eigenem Ansehen und das hat vielleicht seine Fantasie beflügelt. Seine Mutter stammte nämlich aus Gattendorf und er wurde 1756 in Zurndorf geboren, wo sein Vater ein Schankhaus betrieb.

 

Fessler irrte übrigens auch in anderen Details. So bezeichnet er Gattendorf als einen Ort „in alter Zeit der Goten Wohnsitz“. Offenbar wird er hierbei durch die umgangssprachliche Lautverschiebung von „a“ zu „o“, Gattendorf – Godendorf, inspiriert.

 

Da sich aber die Legende um die Schlacht bei der St. Anna-Kapelle so überaus hartnäckig hält, sei an dieser Stelle auf die erste Leithaschlacht (1146) näher eingegangen. Die Historiker pflegen nur von einer „Schlacht an der Leitha auf der Parndorfer Heide“ zu sprechen. Kronzeuge dieses Ereignisses ist Bischof Otto von Freising (1110-1158), dem ebenso wie Fessler unsere Region bekannt war. Denn anlässlich des II. Kreuzzuges durchquerte er ein Jahr nach der Leithaschlacht im Heer seines Bruders, des Markgrafen Heinrich Jasomirgott von Österreich, dem Verlierer der Leithaschlacht, unser Gebiet. In seiner Chronik „Gesta Friderici“ berichtet er (gekürzt):

„Der König (Gheza) brach nun…… bei der Wieselburger Pforte hervor und schlug sein Lager zwischen diesem Ort und der Leitha in einer Ebene auf, die in deutscher Sprache „Virfeld“ heißt, was wir „Brachfeld“ nennen könnten. Auch der Herzog (Heinrich Jasomirgott) scharte seine Leute um sich und lagerte nicht weit davon entfernt am anderen Ufer jenes Flusses, der auf der einen Seite der Donau die Grenze zwischen dem Römischen Reich und Ungarn bildet, auf der anderen Seite tut es die March… Der König begab sich am folgenden Tag zu einer hölzernen Kirche auf dem Virfeld und wurde dort… von den Bischöfen mit den Waffen ausgerüstet,… Darauf ordnete er sein Heer und stellte seine Truppen auf,… Dann überschritt er überraschend an einer Furt die Leitha und legte in dem Grenzgebiet sofort Feuer an. Der Herzog hatte sein Heer ebenfalls zur Schlacht aufgestellt… . (Das Lager war 2 Deutsche Meilen von der Fischa entfernt.) … zeigte sich plötzlich der Rauch von Feuer und gab über die Stellung der Gegner genau Aufschluss. Aber einige unserer Leute glaubten und behaupteten, die Feinde hätten sich zur Flucht gewandt und ihr eigenes Lager in Brand gesteckt. Daher griff der Herzog… plötzlich zu den Waffen und wider die Erfordernisse militärischer Zucht und Ordnung rückte er nicht bedächtig vor, sondern stürzte Hals über Kopf vorwärts… . Schon dachten die Ungarn an Rückzug und wollten sich zur Flucht wenden, da begannen die Deutschen… zu fliehen. Jetzt rafften die Barbaren erst recht ihre Kräfte zusammen… . Nun sah sich der Herzog gezwungen vor dem Feind zu fliehen… . Die Ungarn verfolgten den Gegner nur bis zur Fischa… .“

Soweit der historische Bericht, der in mehreren Punkten verschieden deutbar ist. Eine exakte Bestimmung der Lage des Schlachtfeldes ist aber anhand dieses Berichtes nicht möglich.

 

Welche Kapriolen die Fessler`sche Auslegung auf dem Boden schwärmerisch-frommer Dichtkunst zu schlagen vermag, erfährt man in einer Beschreibung des Wieselburger Komitats von Istvan Thullner (Mosony Vármegye, S.348 ff.). Dort heißt es im Kapitel „Das Wunder der hl. Anna“ (auszugsweise):

„Das Wunder der hl. Anna“

 „… Der deutsche Kaiser zog mit einem riesigen Gefolge aus, es waren so viele Soldaten wie Grashalme auf den Leithawiesen. … Die ungarischen Ritter berieten traurig mit dem König, ob sie das riesige Heer des Feindes überhaupt angreifen sollten. Als sie so beratschlagten, bemerkten sie auf einmal, dass der junge König fehlte. Das ganze Lager suchte nach ihm, man fand ihn aber nicht. Schließlich schaute ein Ritter in die sich in der Nähe befindliche Kapelle der hl. Anna hinein und sah hier den König, im Gebet vertieft, knien. Nun stiegen alle Ritter von ihren Pferden und knieten sich ebenfalls zum Gebet nieder. Als sie so in Andacht versunken waren, sahen die Ritter und Bischöfe plötzlich über der St. Anna-Kapelle ein helles Licht und zwei Engel, welche die Ungarische Krone in ihren Händen hielten. Die Krone glänzte wie die aufgehende Sonne. Als der König aus der Kapelle trat, sagte er den Bischöfen: „Die selige Jungfrau Maria beschützt ihr auserwähltes Volk. Die Gnade ihrer glorreichen Mutter, der hl. Anna ist unser. Während ich betete legte sie beide Hände auf mein Haupt und segnete mich. Wir brauchen uns nicht zu fürchten, denn der Sieg gehört uns!“ Das ganze ungarische Heer stieg in den Sattel und als zur Schlacht geblasen wurde, stürzte es sich mit Macht auf den Feind. Der Feind wurde derart niedergemacht, dass von Bruck bis Zurndorf die ganze Gegend mit Leichen bedeckt war. … Der junge König kehrte in die Kapelle der hl. Anna zurück, kniete auf der Schwelle nieder und rutschte auf den Knien zum Altar vor, um für den Sieg zu danken. Während er betete erschien abermals das Licht über der Kapelle. Die Wunden der Ritter schlossen sich und es ertönten himmlische Klänge wie von den Trompeten der Engel, die weit ins Land hinein hörbar waren.“

Es zeigt sich auch hier wieder, dass Legenden wesentlich schwieriger zu unterdrücken sind als die Wahrheit. Offenbar hat der Mensch das Bedürfnis, sich seine Wirklichkeit selbst zu gestalten, und Wahrheit dient ihm bestenfalls als Anhaltspunkt.

 

Fassen wir das Bisherige zusammen, so müssen wir zu Kenntnis nehmen, dass sich weder aus dem kolportierten Messbesuch des Johannes Hunyady in der St. Anna-Kapelle noch aus der Schilderung der ersten Leithaschlacht durch Otto von Freising ein Beweis für die Existenz der St. Anna-Kapelle oder eines Vorgängerbaus vor 1712 ableiten lässt. Und doch fällt auch auf diese aussichtslose Quellenlage ein Lichtstrahl aus unvermuteter Richtung.

Münzenfunde bei der Anna-Kapelle:

Vor einigen Jahren suchte ein Hobbyarchäologe das Kapellenareal mit einem Metallsuchgerät ab. Eigentlich wollte er nur nach dem Ehering seiner Frau suchen, den diese am Annatag irgendwo bei der Kapelle verloren hatte. Zu seiner Überraschung fand er außer dem Ring in nur wenigen Stunden einen ganzen Schuhkarton Metallgegenstände. Wohl war das meiste davon uninteressant, wie alte Nägel, Granatsplitter oder Schillingmünzen. Aber dann fand er auch Rosenkranzkreuze und -anhängsel, Siegelringe, Medaillons und Knöpfe. Darunter mehrere kunstvoll aus Kupfer getriebene, schellenartige Knöpfe, die einst zu kroatischen Trachten gehört hatten. Die interessantesten Funde aber waren Münzen, denn die lassen in der Regel eine genaue Datierung zu. Mehrere dieser Münzen weisen randständige Bohrungen auf, was darauf hindeutet, dass sie nicht als Zahlungsmittel, sondern als Schmuck gedient haben.

 

Bei der zeitlichen Zuordnung der Münzen fällt zunächst eine Häufung um das Jahr 1700 auf, was nicht weiter verwunderlich ist, da die Kapelle 1712 erbaut wurde. Und dann die große Überraschung: Vier Münzen stammen aus dem 17. Jahrhundert, nämlich von 1670, 1630, 1624 und 1600. Drei weitere Münzen wurden im 16. Jahrhundert geprägt, eine davon datierbar mit 1515. Noch älter ist ein „Wiener Pfennig“, der um 1300 geschlagen wurde. (Abbildung Seite 11)

 

Die echte Sensation aber ist der Fund von vier Münzen aus dem 12. Jahrhundert, aus einer Zeit, die vor der ersten urkundlichen Erwähnung Gattendorfs 1209 liegt. Drei dieser vier Münzen wurden miteinander verbacken aufgefunden, sodass man annehmen muss, sie befanden sich gemeinsam in einer Geldbörse, die seinem Besitzer verloren ging. Es sind „Kremser Pfennige“, die gegen Ende des 12. Jahrhunderts unter dem Babenberger Herzog Leopold V. (1177-1194) geprägt wurden. (Abbildungen Seite 10)

 

Damals war es üblich, auf Reisen Rohsilber mitzuführen, das jedoch nicht als Zahlungsmittel verwendet werden durfte. Man tauschte es gegen die jeweilige ortsübliche Währung. In unserem Raum wurden 30 Silberpfennige zu 1 Schilling umgerechnet. Und 8 Schilling ergaben 1 Pfund (ca. ½ kg) Kremser Pfennige. Später, nachdem die Residenz der Babenberger nach Wien verlegt worden war, erbrachten 8 Schilling 1 Pfund Wiener Pfennige. Theoretisch ergaben also 240 Pfennige ein Pfund, was jedoch wegen des von Münze zu Münze etwas abweichenden Gewichtes niemals genau erreicht wurde. Darum wurden die Silbermünzen bei großen Kaufsummen einfach gewogen. Außerdem wurden die Silbermünzen durch den Münzherrn alle zwei Jahre verrufen, das heißt, es wurden neue Münzen mit etwas abweichendem Bild geschlagen. Die neuen Münzen mussten gegen eine Einwechselprämie von bis zu 50% gegen die alten Münzen getauscht werden. Die Verwendung der alten, jetzt ungültigen Münzen, war durch allgemeine Rechtsverordnungen zugunsten der Münzherrn bei Strafe verboten. Somit entstanden im Laufe der Zeit eine Unzahl verschiedener, oft nur gering voneinander abweichender Münzen, die äußerst mühsam zu differenzieren sind.

 

In die letzten Jahre des 12. Jahrhunderts fällt ein Ereignis, das vielleicht mit den drei Kremser Pfennigen in Zusammenhang gebracht werden darf. 1188 hatte der greise Staufer Kaiser Friedrich Barbarossa, dessen Bart und Haare längst weiß geworden waren, zum Dritten Kreuzzug aufgerufen. Die Rückeroberung des Hl. Grabes in Jerusalem aus den Händen der Moslems hätte die Krönung seines Lebenswerkes als Beschützer der Christenheit werden sollen. Nachdem das Heer in Wien bei Herzog Leopold V. Station gemacht hatte, lagerten die Kreuzfahrer zu Pfingsten 1189 auf dem „Vierfeld“ bei Kittsee. Bevor die Ritter durch Ungarn in Richtung Hl. Land weiterzogen, hielt der Kaiser hier die Heerschau. Es ist bekannt, dass von den Kreuzzüglern große Mengen Kremser Pfennige nach Ungarn mitgeführt wurden, was mit zu einer Silberverknappung in Österreich führte, das über keine eigenen Silbervorkommen verfügte. Dieser Mangel konnte erst 1194 behoben werden. König Richard Löwenherz von England, der mit Herzog Leopold V. im Streit lag, wurde auf seiner Rückreise aus dem Hl. Land in Erdberg bei Wien erkannt und von dem Babenberger auf der Feste Dürnstein gefangengesetzt. Erst nach Zahlung der riesigen Lösegeldsumme von 100.000 Mark Silber, die sich Leopold V. und Kaiser Heinrich VI. teilten, wurde er freigelassen. Die 50.000 Mark Silber wiegen 11.600 kg und hatten nach heutiger Kaufkraft einen Wert von etwa 1,8 Milliarden Euro oder 25 Mrd. S. Zur Aufbringung mussten in England Sondersteuern erhoben und Kirchenschätze eingeschmolzen werden. Allerdings hatte Herzog Leopold V. mit der Gefangennahme eines Kreuzfahrers einen schweren Verstoß gegen das Kirchenrecht begangen, was den Kirchenbann und damit die Exkommunikation zur Folge hatte. Von dieser für einen damaligen Christenmenschen unvorstellbar harten Strafe konnte er sich noch auf dem Sterbebett befreien, indem er den noch verbliebenen Rest des Lösegeldes von 4.000 Mark an König Richard zurückzahlte. Die bereits ausgegebenen 46.000 Mark waren unter anderem für die Befestigung von Hainburg und Wien und für die Errichtung von Wiener Neustadt verwendet worden. Von einem großen Teil wurden aber Münzen geschlagen. Wer weiß, ob die drei Kremser Pfennige nicht von einem Kreuzfahrer stammen, der seine Börse auf dem St. Anna-Hügel verloren hat, oder ob das Metall dieser Münzen nicht aus dem englischen Lösegeld stammt? Die Antwort werden wir wohl nie bekommen.

 

Ganz in der Nähe der Kremser Pfennige wurde die älteste der Münzen gefunden. Es handelt sich um eine sogenannte „Kumanenmünze“ (Abbildung Seite 11), die mit dem wilden Volk der Kumanen nur den Namen gemeinsam hat. Diese Kupfermünze wurde von Stefan IV. – König der Ungarn – geschlagen, der nur ein Jahr, nämlich von 1162 bis 1163 regierte. Die charakteristische Prägung erfolgte nach byzantinischen und arabischen Vorbildern. Obwohl Ungarn damals über reiche Silbervorkommen verfügte, wurde diese Münze aus Kupfer geprägt, das als Münzmetall geradezu verpönt war. Der Grund dafür war eine dramatische Silberverknappung, weil das Rohsilber über Wien in großen Mengen nach Deutschland exportiert wurde und der Krone große Gewinne einbrachte. Für das gemeine Volk mochte Kupfergeld gut genug sein, aber die Kreditwürdigkeit Ungarns litt schwer darunter. Außerhalb Ungarns war die Kumanenmünze praktisch nicht im Umlauf, schon deshalb, weil sie als Kupfergeld äußerst gering geachtet wurde. Dennoch muss sie innerhalb Ungarns weit verbreitet gewesen sein, was durch zahlreiche Funde und etliche Prägungsvarianten belegt werden kann. Auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes, das früher ja eine Randlage des Königreiches Ungarn einnahm, wurden bislang etwa ein Dutzend dieser Münzen gefunden.

 

Nun werden Münzen nicht einfach nur so über 5 Jahrhunderte auf freiem Feld verloren. Es muss schon einen Grund gehabt haben, warum diese Fundkonzentration sich gerade hier findet. Eine Aussage über das „Warum“ lässt der Fund nicht zu. Ein weites Feld für Spekulationen tut sich hier auf. Es ist aber leicht verständlich, dass eine Bodenerhöhung, die rundum eine weite Sicht zulässt, als strategische Position und Beobachtungspunkt verwendet wird, oder dass auf ihr eine weithin sichtbar sein sollende Kapelle erbaut wird. Mehr lässt sich darüber nicht sagen und die Frage nach einem Vorgängerbau der St. Anna-Kapelle kann keinesfalls beantwortet werden, vermuten darf man ihn jedoch. Ein Beweis könnte nur durch archäologische Grabungen erbracht werden.

Anschließend sind die drei Kremser Pfennige aus Silber aus dem 12. Jahrhundert, der Zeit von Herzog Leopold V. (*1157 †1194; Herzog ab 1177), jeweils von beiden Seiten abgebildet. Sie haben einen Durchmesser  von 21 mm.

Unruhen, Gefechte und Seuchen am Anfang des 18. Jh.:

Wenden wir uns kurz den historischen Gegebenheiten der ersten Jahre des 18. Jh. zu, in denen die St. Anna-Kapelle erbaut wurde. In Europa focht man von 1700 bis 1714 den Spanischen Erbfolgekrieg aus, der eigentlich ein erster Weltkrieg war. Anlass war der Tod des letzten spanischen Habs­burgers Karl II.. Kaiser Leopold I. und König Ludwig XIV. stritten um das Recht, den Thron besetzen zu können. Durch Bildung von Allianzen kämpften Österreich vereint mit England, Holland und Preußen gegen Frankreich und Bayern. Nebenkriegsschauplätze waren Italien, Spanien, Nordamerika und Kanada. Gleichzeitig wurden Habsburgische Kräfte durch die Rákóczy-Unruhen (1703 bis 1711) in Ungarn gebunden. Anlass der Rebellion war die durch französisches Geld geschürte Unzufriedenheit der ungarischen Magnaten über die Einengung ihrer alten Rechte und ihr Ärger über die konsequent vorangetriebene Gegenreformation.

 

Während dieser Rebellion gab es im westungarischem Raum keine großen Schlachten, aber unzählige Scharmützel unter denen gerade in unserer Region die Bevölkerung sehr zu leiden hatte. 1703 standen kaiserliche Truppen in Kittsee, 1704 in Ungarisch Altenburg. In diesem Jahr wurde auch das obere Gattendorfer Schloss vollständig ausgeplündert, sogar die Fenster, Türen und Kachelöfen wurden von kaiserlichen Soldaten mitgenommen. Dann kamen wieder die Kuruzzen und benahmen sich auch nicht wesentlich besser. Dabei war es völlig ohne Bedeutung, dass allgemein bekannt war, dass die Sympathien der Familie Esterházy zu Beginn der Rebellion auf Seiten der Aufständischen waren. Diese wechselseitigen „Besuche“ fanden auch in den Jahren 1705, 1706 und 1707 statt, sodass die Bauernschaft durch zahlreiche Requirierungen wirtschaftlich ausgeblutet war.

 

Aber damit nicht genug, die Pest zog von Innerungarn herauf und schonte weder Freund noch Feind. 1712 tobte die Geißel Gottes, wie man den schwarzen Tod auch nannte, in Preßburg und Bruck. Auch an den reichen Leuten ging die Pest nicht vorbei. Ein prominentes Opfer dieser Seuche war Fürst Paul Esterházy. Er verstarb 1713 in Eisenstadt. Insgesamt forderten Pest und Rákóczy-Unruhen über 500 000 Todesopfer.

 

Geben diese Zeitumstände einen Hinweis auf die Stiftung der St. Anna-Kapelle? In Pestzeiten errichtete man gerne als Dank für die überstandene Epidemie Bildstöcke und Kapellen, die den Pestheiligen Sebastian, Rochus oder Rosalia gewidmet waren, wie zum Beispiel die Pestkapelle in Parndorf. Die hl. Anna wurde jedoch nie als Pestheilige verehrt. Sie galt vielmehr als Nothelferin in Familienangelegenheiten wie Kinderwunsch, Geburt oder Kindererziehung.

 

Von Anna und ihrem Mann Joachim wird im 150 n. Chr. verfassten Protoevangelium des Jacobus berichtet: Lange war Anna kinderlos und litt sehr darunter, bis sie dann doch noch in hohem Alter Maria gebar, die Mutter Jesu. Die Parallele zur biblischen Geschichte von Zacharias und Elisabeth, die Johannes den Täufer gebar, ist offensichtlich. Fast immer wurde die hl. Anna mit Maria und dem Kind als „Hl. Anna selbdritt“ dargestellt, so wie wir es auch vom Altarbild in der St. Anna-Kapelle kennen.
Somit geben weder die Zeitumstände noch die Legende der hl. Anna  Aufschluss über den  Stiftungsanlass der Kapelle, außer er bezöge sich auf Familienangelegenheiten der Familie Esterházy, die uns nicht überliefert sind. Sicher ist nur, dass die Kapelle von einem Mitglied der gräflichen Familie Esterházy erbaut wurde, sonst hätte man nicht deren Wappen über dem Eingang angebracht. Deshalb wenden wir uns nun der damaligen Gattendorfer Grundherrschaft, der Familie Esterházy, zu.

Besitzverhältnisse in Gattendorf:

Gleich vorweg gestellt, es ist sehr kompliziert. Gattendorf war im 17. und 18. Jh. herrschaftsmäßig durch die Erbgänge, einer sich immer mehr verzweigenden Familie, völlig aufgesplittert. Einige Herrschaftsanteile besaßen nur 2 oder 3 Bauern als Untertanen und die waren oft noch verpfändet, sodass andere daran Nutzungsrechte hatten. Demgemäß unterschieden sich auch deren herrschaftliche Kurien, die steuerfreien Edelhöfe, kaum mehr von den anderen Bauernhäusern und sie gingen auch mit der Zeit zwischen ihnen unter. Meist wurden sie zu Wirtshäusern umgebaut, kein Wunder, dass es zeitweilig in Gattendorf 12 Wirtshäuser gab. Kurzum, die Situation ist kaum überschaubar. Daher sei hier auch nur eine sehr schematische, vereinfachte Darstellung der Gattendorfer Herrschaftsinhaber versucht:

 

Bis zum Tod des Sebastian Rauscher 1553/54 befand sich die ganze Ortschaft Gattendorf in einer Hand. Zum Rauscher-Besitz gehörten noch etliche andere Ortschaften und Edelhöfe, so auch in Gols und in Tadten. In der Enkelgeneration seiner Tochter Eva kam es zu einer Dreiteilung. Ein Drittel ging an die Familie Rumi, ein Drittel an die Familie Orosz und ein Drittel an den Cseszneker Zweig der Familie Esterházy.

 

Von der Grundherrin Eva Rauscher wurden erstmals in Gattendorf Kroaten angesiedelt. Daher wird noch heute im Kroatischen für Gattendorf die Bezeichnung „Raušer“ verwendet.

 

Die Familie Esterházy brachte im wesentlichen drei große Linien hervor, von welchen die später in den Fürstenstand erhobene Fraknóer oder
Forchtensteiner Linie die wohl bedeutendste ist. Diese hat jedoch keinen Bezug zu Gattendorf. Die anderen beiden, die gräflichen Linien Csesznek und Zólyom oder Altsohl sind für Gattendorf interessant, weil Daniel Esterházy (1580 – 1654) aus der Cseszneker Linie die Enkeltochter der Eva Rauscher, Judith Rumi (1606-1663), heiratete und damit in Gattendorf Besitz erwarb. Beide hatten insgesamt über 20 Kinder miteinander. Auf drei ihrer Kinder, nämlich Johann, Sigismund und Michael, wurde der Gattendorfer Drittelanteil weiter aufgeteilt, sodass in dieser Generation Neuntelanteile entstanden, deren Einzelbestand schon nicht mehr genau nachvollziehbar ist. Am besten lässt sich der Sachverhalt der Besitzaufteilung am neuen Schloss – auch oberes Schloss genannt – zeigen.

 

Sigismund hatte zwei Söhne, Daniel sen. und Peter. Anlässlich des Todes von Daniel sen. 1709 wird eine Konskription (Liste über Bewohner und Besitztümer) angelegt, in der dargestellt wurde, dass das Schloss durch die abwechselnden Besuche von kaiserlichen Truppen und Rákóczy-Anhängern ausgeplündert und unbewohnbar war. Aus der Beschreibung, die in lateinischer Sprache abgefasst ist, geht leider nicht hervor wie das Schloss genau aussah, wenngleich die Darstellung der Anordnung der einzelnen Räumlichkeiten eine ungefähre Vorstellung vermitteln kann. Sicher ist nur, dass der heutige Gassentrakt im Besitz von Sigismunds Söhnen war. Die anderen Mitbesitzer waren deren Cousine Maria und ihr Cousin Daniel jun.. Maria Esterházy (~1668 – 1720) verehelicht sich mit ihrem Verwandten Stefan sen. Esterházy (1663 – 1714) aus dem Altsohler Familienzweig. Verkürzt formuliert: Im Verlauf der folgenden Generationen gehen nicht nur der Esterházy-Besitz des Cseszneker Zweiges, sondern auch die Besitztümer der Familien Rumi und Orosz – bzw. deren Nachkommen – durch Erbschaft, Verpfändung und Verkauf an den Altsohler Zweig über.